Der Typ, der immer alles schräg stellt

Posted on 16 November 2005 in:

Interview mit Uwe Loesch

11. Juni 2005, von David Borchers und Lukas Schneider.

Anlässlich der Ausstellung „Hans Hillmann. HaltMale – vom Plakat zum Bildroman“, die vom 17. April bis zum 12. Juni 2005 im Klingspor-Museum in Offenbach zu sehen war, besuchte Uwe Loesch, Professur für Kommunikationsdesign an der Bergischen Universität Wuppertal, mit seiner Klasse das Museum, um mit Hans Hillmann im Gespräch durch die Ausstellung zu führen. Anschließend wurde er von uns im Vorhof des Museums interviewt.

Herr Loesch, wenn man in Ihren Plakaten die Kombination von Schrift und Bild mit der Herangehensweise von Hans Hillmann vergleicht, dann hat es den Anschein, als ob Hillmann sehr oft die Schrift dem Bild angepasst hat oder gar selbst als Bildteil integriert, während bei Ihren Plakatentwürfen die Schrift mehr auf das Motiv eingeht und Sie Bild und Schrift meist in Kontrast setzen, so dass eine Spannung zwischen beiden Komponenten entsteht?

Das ist ein Aussagesatz und keine Frage. Deshalb könnte ich jetzt einfach nur „Ja!“ sagen. Hans Hillmann war als Plakatgestalter seiner Zeit weit voraus! Beispielsweise zeigt sein Plakat „Pierre und Paul“ eine Art von Eckfeldtypografie, die er damals häufiger verwendete. Hillmann räumt ein. Er macht Platz für die Typografie. Andererseits lässt er seine Illustration ein wenig über den Text laufen und macht so eine zweite Bildebene auf. Was auf den ersten Blick etwas eingeengt in der Ecke steht, ist eben doch schon wieder gut. Beschäftigt man sich intensiver mit der typografischen Gestaltung seiner Plakate, dann muss man erkennen, dass er äußerst subtile und immer wieder neue Konzepte ausprobiert oder ganz einfache Lösungen bevorzugt. Viele seiner frühen Plakate sind heute noch uneingeschränkt gültig.

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Das Verunglückte, das zum Gestaltungsprinzip erhoben werden kann, war ihm seinerzeit sicherlich eher fremd. Wenn wir uns beispielsweise an der Tür dort die Typografie der Öffnungszeiten des Museums anschauen, dann haben wir so ein Beispiel von Glück im Unglück: Bürgerliche Mittelachse hinter schmiedeeisernen Dekorationsansprüchen. Die Wehrhaftigkeit der Tür wird zum Ornament. Die Typo hängt hier wie eine Klunker am Ohr des Zeitgeistes.

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Man möchte sofort ausprobieren, wie die Typo linksbündig hinter Gittern ausschauen würde. Wer am Computer arbeitet, denkt in mehreren Ebenen und weiß, dass Text Bild und Bild Text sein kann. Und dass wir Text und Bild tauschen oder beliebig viele Text-Bild-Ebenen aufmachen können. Und das konnte man Anno dazumal alles nicht. Also hat man es auch nicht gedacht.

Nun gibt es ja heutzutage wieder diese Tendenzen, bei denen man von einer „gewollten Formlosigkeit“ sprechen kann, wo der Text bei Plakatentwürfen wieder scheinbar gedankenlos in die Ecken gesetzt wird.

Ja, das ist natürlich die allergrößte Kunst! Weil es am Computer schwierig ist, etwas so zu gestalten, dass es aussieht, als habe man es nicht gestalten wollen oder als habe man es gar nicht gestaltet, sondern der Zufall als unbedingter Reflex einer reaktionären Maus hatte die Hand im Spiel. Ich mache so etwas manchmal heute noch mit Hammer und Sichel. Beispielsweise schneide ich Typographie aus und werfe sie einfach auf das Format, um zu schauen, was daraus wird.

Meinen Sie da Ihre „Fünfminutenplakate“?

Meine Fünfminutenplakate sind Ergebnisse einer spontanen Idee. Anschließend probiere ich alle möglichen Alternativen, um dann am Ende, wenn ich Glück habe, festzustellen, dass die erste, spontane Idee wirklich die beste war. Wenn ich diesen Prozess aber überspringe, traue ich meinem Plakat nicht über den Weg. Es gibt von mir solche spontanen Plakate, die ich einfach drucken ließ. Zum Beispiel das Plakat NEWS für EBVscan. Es zeigt viele Bilder von Fernsehsendungen, die ich eine Nacht lang im YMCA von New York mit einer Polaroidkamera abfotografierte. Zurück in Deutschland, legte ich die Bilder einfach planlos im Nebeneinander auf dem Fußboden aus. Zufälligerweise ergab sich ein Schachbrettmuster. Diese Musterhaftigkeit, die wir exakter schon in römischen Mosaiken vorfinden, wurde von mir unter Vermeidung des rechten Winkels übernommen.

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Solche Entscheidungen passieren dann aber nicht aus Termindruck?

Nein. Manchmal hat man einfach keine Lust, anstrengende Konzepte zu entwickeln. Ich glaube auch, dass wir neue Gestaltungsprinzipien meistens per Zufall entdecken. Mir geht das jedenfalls so.

Beim Spielen?

Im Computer ist es ja vor allem der ständige Unfall, der inspiriert. Irgendetwas flippt weg. Und dann macht man Screenshots und baut alles wieder mühevoll nach, was man mit der Maus gerade festhält. Beispielsweise fotografierten wir mal einen ganzen Kalender vom Monitor ab. Wir beschafften uns das Programm eines Bildschirmschoners und fütterten den Computer mit Format füllenden Monatsziffern und den Kalendarien. Der anschließende Auflösungsprozess wurde mit einer Kamera festgehalten und anschließend rekonstruiert. Der Kalender ist übrigens richtig gut geworden, obwohl er als Datengeber kaum zu gebrauchen war und auch nicht gebraucht werden wollte.

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Gehen Sie denn als Typograph, gerade bei der Plakatgestaltung, zuerst mit einer Textidee an die Arbeit? Es gibt doch viele Plakate von Ihnen, die nur mit Text funktionieren.

Ich überprüfe eigentlich regelmäßig, ob ich die Bildidee nicht weglassen kann. Ich glaube ohnehin, dass das Bild im Kopf stärker ist, als das Abbild. Allerdings gibt es auch fantastische nonverbale Plakate, die nur mittels Bild kommunizieren. Heutzutage kann man ja ganz schnell testen, wie das ganze Teil ohne Bild aussieht. Und meistens ist das reizvoller.

Andererseits gewinnen viele fotografische Arbeiten erst an Bedeutung, wenn man sie mit Typographie in Verbindung bringt und eine Wechselbeziehung zwischen Text und Bild herstellt.

Kommt Ihnen Ihre Tätigkeit als Fotograf zugute, wenn Sie auf der Suche nach einer Bildidee sind?

Ja, natürlich. Manchmal fotografiere ich noch selbst. Allerdings bin ich an dem Punkt angekommen, wo ich lieber irgendein kaputtes Polaroid benutze oder ein beliebiges Digitalfoto.

Ich habe da eine Anekdote gehört, nach der Sie wegen des Motivs einer Hand, die Sie auf einer Reise entdeckt hatten, extra noch mal nach Paris gefahren sind?

Ja, ich bin tatsächlich einen riesigen Umweg gefahren. Allerdings nicht nach Paris, sondern von Paris über Besançon nach Düsseldorf. Aber das ist so wie von Düsseldorf über Moskau nach Wien. Ich hatte anlässlich einer Ausstellung meiner Arbeiten in Besançon in der dortigen Ecole des Beaux Artes an einer Tür den Umriss einer Hand gesehen, d.h. jemand hatte seine Hand auf die Tür gelegt und mit schwarzer Farbe drüber gesprüht, so dass die Hand als Negativ auf der Tür erschien.
?Ich versuchte das nachzumachen, was aber nicht klappte. Die Hand in Besançon war authentisch, meine Nachahmung nicht. Daraufhin bin ich tatsächlich diesen riesigen Umweg gefahren. Als ich mich unangemeldet in die Schule schlich, war die Tür weg. Ich schaute um die Ecke und sah in einem Nebenraum die Tür aufgebockt und frisch gestrichen. Ich ging in die Hocke und schaute mir von unten die Rückseite der Tür an. Die Hand war noch da. Und dann schnappte ich wegen der schlechten Lichtverhältnisse die Türe, transportierte sie auf den Schulhof und machte schnell das Foto, das ich dann beinahe unverändert für mein Umweltschutzplakat verwendete. Allerdings veränderte ich die Farbgebung. Aus schwarzweiß wurde rotgrün. Wenn man will, war die Farbgebung eine Persiflage auf die politischen Verhältnisse. Die Hand warnt vor FCKW, was seinerzeit gerade verboten worden war. Allein die Typografie und nicht zuletzt die Headline halte ich für missglückt. Denn eigentlich ist es ein phantastisches nonverbales Plakat.

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Das lag wahrscheinlich auch daran, dass das Motiv so endgültig war?

Es gibt Bildmotive, die jede Typografie geradezu abstoßen. Ich gestalte zum Beispiel seit ein paar Jahren die Plakate für die Ausstellung des Red Dot Award: Product Design des Design Zentrums Nordrhein Westfalen in Essen. Das preisgekrönte Produkt wurde eine Zeitlang von Hans Hansen fotografiert. In ein Hansen-Foto mit Typo rein zu gehen, ist fast unmöglich. Es sein denn, man traut sich.

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Bei den Plakaten, bei denen Sie nur mit Schrift arbeiten, benutzen Sie trotzdem keine Schriften, die mit der Holzhammermethode versuchen, zu verbildlichen, was Thema ist?

Ich versuche zumindest zu vermeiden, draußen zu doppeln, was drin ist. Die Frage, ob eine Schrift zum Thema oder zum Produkt passen muss, wird immer wieder neu entschieden werden. Ich probiere ständig neue Schriften aus, bis ich am Ende wieder bei einer geradezu charakterlosen Schrift lande.

Wenn man sich die Plakatauswahl auf Ihrer Internetseite ansieht, dann bekommt man den Eindruck, dass Sie sich auf drei Sans-Schriften beschränken?

Dieser Eindruck täuscht! Es sind mindestens zwanzig, darunter befinden sich auch Exoten und sogar selbst entworfene Schriften, wie die TRANSVESTITA oder die Kastrata. Auch die Tannenberg verwendete ich schon vor 20 Jahren. Allerdings räume ich ein, dass ich gern auf ganz einfache, geradezu bedeutungslose Schriften zurückgreife, wenn das Thema jede Art von vorwitzigem Dekorationsanspruch der Schrift verbietet. Da sind dann doch die Zeitgeist-Schriften wie die DIN, die Interstate oder neuerdings auch wieder die Eurostile bestens geeignet. Mein allererster Briefbogen vor 37 Jahren war in Eurostile gesetzt! Außerdem bestehen meine Auftraggeber auf ihren Corporate Design-Schriften. Beispielsweise verwendet das erwähnte Design Zentrum Nordrhein Westfalen die von Otl Eicher vorgeschriebenen Rotis. Armin Hofmann hat übrigens sein Leben lang nur die Akzidenz Grotesk benutzt. Ich halte das für konsequent.

Die TRANSVESTITA ist nebenbei bemerkt eine Mischung aus Akzidenz Grotesk und Times. Sie wurde 1984 erstmals in Point. The European Type Magazine veröffentlicht. Meine damalige Intention war, eine endgültige Schrift zu schaffen, die ein für alle mal das Entscheidungsproblem „Grotesk oder Antiqua” löst.

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Meine Website täuscht hier. Zum einen sind weit mehr Arbeiten entstanden, als dort zu sehen sind, zum anderen ist sie nicht chronologisch. Deshalb stehen Arbeiten neben- oder hintereinander, die zeitlich eigentlich weit auseinander liegen. Die Gegenüberstellung von Schärfe und Unschärfe habe ich seit Beginn der 80er Jahre immer wieder im Abstand von mehreren Jahren eingesetzt. Spätestens in den 90er Jahren hatte ich dann den Ruf alles unscharf abzubilden. In den 80er Jahren war ich der Typ, der alles schräg stellt und irgendwie an- und abschneidet. Eigentlich ist es jedoch so, dass ich nach jedem typografischen Anfall und Ausfall immer wieder zurückkomme auf das wunderbare Prinzip: „von links nach rechts, von oben nach unten.“ Typografie ist Kommunikationsanspruch – auch in ihrer totalen Verneinung.

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Nun gibt es Grafiker, wie zum Beispiel die Gruppe Eboy, die sich ganz konsequent einem bestimmten Stil verschreiben und damit auch erfolgreich sind. Wie sehen Sie diese modischen Tendenzen?

Die Stadtansichten von Eboy finde ich phantastisch. Auch die Idee, die ganze Welt zu einem Aufkleber zu machten, den man kaufen kann, ist bemerkenswert. Ich befürchte nur, dass sie auf einer Welle reiten, die über kurz oder lang wieder verebbt oder zum Tsunami wird, der sie am Ende ersäuft.

Im Moment scheint es zeitgemäß, sich völlig über die strukturelle Typographie hinwegzusetzen und das Ganze bildlicher anzugehen. Selbst bei Erscheinungsbildern öffentlicher Institutionen. Ich spreche hierbei von der Umsetzung des neuen Erscheinungsbildes des Museums für angewandte Kunst in Frankfurt von dem Pariser Gestaltungsbüro Vier5.

Vier5 versucht gerade, im Museum für angewandte Kunst Frankfurt das Problem der Quadratur des Kreises zu lösen. Den Flächeninhalt des eigenen runden Kopfes mit dem quadratischen Grundriss des Museums und seiner Bewohner in Übereinstimmung zu bringen, ist eine Kunst für sich. Auch die Idee, das Personal mit in den Gestaltungsprozess einzubeziehen, „putzt“ ungemein. Nun bin ich gespannt, wie es weiter geht.

Es gab aber vorher eine Ausschreibung für die Entwicklung dieses Corporate Designs?

Ja, es gab vorher eine begrenzte Ausschreibung. Wenn ich mich recht erinnere, wurden vier oder fünf Designstudios zur Präsentation aufgefordert. Leider konnten sich die Kuratoren der verschiedenen Abteilungen auf keinen der Entwürfe einigen. So blieb der Wettbewerb lange Zeit unentschieden – bis dann Vier5 erfolgreich akquirierte und damit begann, das Museum fürsorglich von Hand zu beschildern. Eigentlich ist das eine wunderbare Aktion gewesen. Form und Inhalte, Architektur und Exponate werden einfach ignoriert. Stilistisch sind die Arbeiten von Vier5 ausgesprochen sendungsbewusst oder gar “alternativ”. Oder ist das bereits ein Schimpfwort? Ich muss vorsichtig sein, da ich zu den vier oder fünf Gestaltern gehöre, deren Arbeiten im Museum keine Mehrheit fanden.

Das Museum ist übrigens leer am schönsten. Eigentlich hätte man da nie etwas reinstellen dürfen und stattdessen alle Jahre wieder ein neues Orientierungssystem installieren und ein entsprechendes Kommunikationskonzept entwickeln, drucken und verteilen lassen müssen. Auch die Kuratoren, Museumswärter und Hausmeister hätten wir dort besuchen und besichtigen können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das das Museum der Zukunft ist. Wir müssen fairerweise erst mal abwarten, was Vier5 bis zum Ende des Jahres verwirklichen kann. Im Sinne von “Wirklichkeit ist das, was wirkt!”

Auf den ersten Blick wäre sicherlich ein Gestaltungskonzept geeignet gewesen, das sich formal ganz zurück nimmt und nicht dem Zeitgeist folgt. Andererseits sollte man als Gestalter neue Ausdrucksformen suchen und durchsetzen. Vielleicht gelingt dies Vier5.

Herr Loesch, eine letzte Frage: Was hat es mit den Schäferhunden auf sich?

Da müssen Sie Blondie fragen.

Vielen Dank für das Gespräch.